Das Rätsel des Jahres 2005!

Ein mysteriöses Phänomen geht um...

Die Analysten der Investmentbanken gingen zu Jahresbeginn fast alle von deutlich anziehenden, langfristigen Zinssätzen aus. Die von vielen Kommentatoren ausgemachte "Rentenblase" sollte endlich platzen. Begründet wurde dies vor allem mit den zu erwartenden Leitzinserhöhungen der US-Notenbank. Was ist daraus geworden?

Unsere Meinung vom Jahresanfang

In unserer Jahresprognose 2005 schrieben wir wörtlich: "Die Zinssätze lang laufender Anleihen werden per Saldo nur unwesentlich ansteigen bzw. unverändert bleiben. Die US-Notenbank wird am kurzen Ende jedoch weitere Zinsschritte vornehmen. Die Zinsstrukturkurve wird sich abflachen. - Zu unseren ausgemachten positiven Überraschungen für 2005 zählen wir vor allem ein per Saldo unverändertes, langfristiges Zinsniveau. Während - wie schon in den vergangenen Jahren - der große Konsens der Investmentbanken von einem deutlichen Zinsanstieg am langen Ende ausgeht, so halten wir ? wenn überhaupt ? nur geringe Zuwächse in den Renditen für wahrscheinlich."

US-Leitzinsen stiegen stärker als erwartet

Die meisten Investmentbanken gingen für 2005 von einigen Zinsschritten aus. Die US-Leitzinsen lagen zu Jahresbeginn bei 2,25% und stiegen bis heute auf 4,25% an. Der Konsens der Investmentbanken lag zwischen 3% und 4% und wurde damit sogar leicht übertroffen. US-Fed-Chef Alan Greenspan hob die Leitzinsen also stärker als allgemein erwartet an. Sie erinnern sich sicher an die Diskussionen vom Jahresanfang. Langfristige Anleihen sollte man meiden. Die Rentenblase sollte platzen, die Renditen langfristiger Anleihen sollten kräftig anziehen, weil Alan Greenspan auf die "Zinsbremse" treten würde. Ok. Greenspan hat sogar stärker als erwartet auf die Zinsbremse getreten. Sind die Renditen der langfristigen Anleihen wirklich angestiegen? Im April nahm ich im Rahmen der Anlegermesse Invest an einer Podiumsdiskussion des Magazins "Börse Online" teil. Sie können sich die Videos mit meinen Aussagen von der Invest 2005 hier ansehen.

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Die langfristigen Zinsen stiegen nur geringfügig an

Die Rendite der 10-jährigen Anleihen lag bei 4,22% am Jahresende 2004. Die Prognosen der Investmentbanken sahen einen Anstieg des Renditeniveaus der 10-jährigen Staatsanleihen zum Jahresende 2005 zwischen 4,50% und 5,80% voraus. Der tatsächliche Stand zum Jahresende: 4,40%. Die Rendite ist also weniger als 0,2%-Punkte angestiegen und fast unverändert geblieben. Und dies trotz einer - nahezu - Verdoppelung des Leitzinses von 2,25% auf 4,25%. Woran liegt das? Anleihemärkte sind sehr komplex - Notenbankzinssätze recht simpel! Während die Notenbanken am kurzen Ende "Monopoly" spielen können, hängen die "langen" Anleihen viel mehr von den künftigen Inflationserwartungen und der Liquiditätssituation an den Finanzmärkten ab. Die Leitzinsen werden von den Notenbanken per Beschluss festgelegt und sind somit nicht vom Markt bestimmt. Am Anleihemarkt werden die Kurse - und damit auch die Renditen - von Angebot und Nachfrage im freien Börsenhandel ermittelt.

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Fazit

Das Phänomen eines so eindeutigen und "doppelten Fehlschlages" in den Prognosen ist äußerst selten. Die strategischen Schieflagen der Investoren sollten daher gewaltig sein. An den Anleihemärkten war in 2005 zwar wenig zu verdienen, die befürchteten Kursverluste und das Platzen der "Anleihen- und Rentenblase" blieben jedoch aus. Im Gegenteil: Europäische Investoren konnten in US-Anleihen vom kräftigen US-Dollar profitieren und verzeichneten sogar zweistellige Renditen. Die Zinsstrukturkurve hat sich in den USA fast vollständig abgeflacht. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie ein frohes, gesundes und erfolgreiches Neues Jahr. Es grüßt Sie herzlich Ihr Thomas Grüner

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