Wenn sich Angst entlädt - Replay 1999?

Das wird Sie überraschen! - Anleger leben meist in der näheren Vergangenheit und vergessen sehr schnell. Unser emotionales Gedächtnis reicht weniger weit zurück als wir glauben.

Fast alle Investoren haben das Jahr 1999 rückblickend in guter Erinnerung. Es ging als ein echtes Bullenjahr in die Börsengeschichte ein. Die marktbreiten Indizes schlossen nahe an ihren Jahreshochs. Die per Saldo hohen Zuwächse haben sich eingeprägt. Doch wie sieht es mit dem Jahresverlauf aus? Den haben die meisten Anleger schlicht vergessen, die Erinnerung daran ist bereits verblasst.

Erinnern Sie sich an 1999?

Was haben sie noch in Erinnerung? Den Technologieboom? Die Diskussionen um einen immer währenden Wirtschaftsaufschwung? Die Erfindung des Kurs-Umsatz-Verhältnisses um die absurden Bewertungen im Technologiebereich zu rechtfertigen? Die hohen Zuwächse in den Indizes und die extremen Kursgewinne? Ein wichtiger Punkt fehlt in dieser Aufstellung...

Die Y2K-Panik - die Angst vor dem Computerchaos

Was kaum noch jemand in Erinnerung hat, 1999 war vor allem geprägt von Angst und Skepsis. Der Angst vor einem weltweiten Absturz der Computer und einem Wirtschaftschaos am Jahrtausendwechsel. Die Hälfte der befragten Y2K-Experten betrachtete das Jahr-2000-Problem noch im Oktober 1999 wie eine Naturkatastrophe, die ein paar Tage dauert. 56 Prozent gaben in einer Umfrage damals an, sich einen Nahrungsmittelvorrat anzulegen, der für einen Zeitraum von neun Tagen reicht, und Bargeld für zehn Tage bereit zu halten. Die Zahl derjenigen, die Wertpapiere verkauft hatten, wuchs bis im Oktober stetig an. Ed Yardeni, einer der Ökonomen, der eine schwere Y2K-Rezession in Folge des von ihm prognostizierten Computerchaos vorhergesagt hatte, war in aller Munde. Pessimisten hatten für die Silvesternacht vor diversen Katastrophen wie Flugzeugabstürzen, großflächigen Stromausfällen und einem riesigen Chaos in allen Bereichen des öffentlichen Lebens gewarnt. Rückblickend schmunzeln wir über diese Zahlen, doch ich kann mich noch gut an die Gespräche mit besorgten Kunden erinnern. In 1998 war es meine Aufgabe, damals noch als Banker, meine Mitarbeiter für das Y2K-Problem zu sensibilisieren.

Psychologischer Hintergrund

Angst ist eine vorgreifende Emotion. Die Daten, die dafür herangezogen werden, holen wir uns vorwiegend aus Erfahrungen und Daten der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit. Vergessen ist ein exponentieller Prozess. Schon nach ca. sechs Monaten stehen uns vorherige Erfahrungen für unsere Entscheidungsfindung kaum noch zur Verfügung. Statistische Wahrscheinlichkeiten, die für rationales Handeln wesentlich sinnvoller wären, werden von psychologischen Aspekten, die für Anlageentscheidungen nahezu unbrauchbar sind, ersetzt.

Parallelen zur heutigen Situation

Auch in 1999 bewegten sich die marktbreiten Indizes in einer recht engen Handelsspanne. Die Volatilitäten verharrten auf einem ähnlich tiefen Level wie heute. Viele Analysten sagten u.a. aus diesem Grund eine große Korrektur bzw. Einbrüche im Vorfeld des Jahrtausendwechsels voraus. Von Zuversicht war wenig zu spüren. Am 18. Oktober 1999 lag der amerikanische S&P 500 mit 1234 Punkten lediglich 0,36% höher als zu Jahresbeginn, der deutsche DAX hatte bei einem Stand von 5094 Punkten um magere 1,7% zugelegt. Die Angst erreichte damals ihren Höhepunkt und begann anschließend zu entweichen. In den letzten zehn Wochen des Jahres setzten die Märkte zu einer dynamischen Aufwärtsbewegung an. Viele Shortseller wurden aus dem Markt gedrängt, Anleger kauften ihre vorher gegebenen Positionen wieder zurück und der S&P 500 und DAX 30 beendeten das Jahr mit einem Zuwachs von 19,5% bzw. 39%(!). Die Zuwächse vom 18. Oktober 1999 bis zum Jahresende betrugen 19,1% (S&P 500) bzw. 36,6% (DAX 30). Die Volatilitäten zogen wie erwartet deutlich an, doch die Kurse gingen ebenfalls nach oben.

DAX in 1999 - späte Rallye

Das Jahr 1999 war geprägt von einer fast zehnmonatigen Seitwärtsbewegung. Erst in den letzten Wochen des Jahres erzielte der DAX seine hohen Kursgewinne und beendete das Jahr bei 6958 Punkten. Er legte in weniger als drei Monaten um fast 2000 Punkte zu. Mit dieser Bewegung hatte niemand gerechnet. Die Analystenschätzungen lagen für 1999 bei erwarteten Zuwächsen zwischen 5% und 10%. Am Ende des Jahres stand ein Plus von 39% in den Statistiken.

S&P 500 in 1999

Der S&P 500 lag am 18. Oktober 1999 mit 1233,64 Punkten um lediglich 0,36% höher als zum Jahresanfang bei 1229,23 Punkten. Die anschließende Rallye führte ihn bis auf 1469,25 Punkte und damit zu einer Jahresperformance von 19,5%.

Nasdaq 100 mit üblen Bärenfallen

Die Mehrzahl der technischen Analysten führte der Technologieindex Nasdaq 100 im gesamten Jahr an der Nase herum. Multiple negative Divergenzen - über den ganzen Zeitraum verteilt - wurden jeweils "regelwidrig" nach oben aufgelöst. Der Bärenfalle die Krone setzte ein Bearkeil auf, der ebenfalls "regelwidrig" in einen Ausbruch nach oben mündete. Am 18. Oktober hatte der Nasdaq 100 bei 2299,95 Punkten bereits einen Zuwachs von 25,3% erzielen können. Am Ende des Jahres schloss der Index bei 3707,83 Punkten und damit mit sagenhaften 102%(!) im Plus.

Fazit

Angst ist an den Kapitalmärkten - wie im tatsächlichen Leben auch - meistens kein guter Ratgeber und verleitet jeweils zu schwerwiegenden Fehlentscheidungen bzw. verpassten Möglichkeiten. Bevorzugen Sie Statistiken und vergleichen Sie die aktuellen Entwicklungen mit historischen Daten. Sie werden - wie wir in unserer täglichen Arbeit auch - oft verblüffende Parallelen erkennen, die Sie für Ihre Anlageentscheidungen nutzen können.

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